Pflanzen brauchen Pflege und Fürsorge. Wenn Menschen ohne Obdach und mit Suchtproblematik diese Aufgabe meistern, steigen die Chancen für eine gedeihliche Zukunft.
Rote Apeldoorn Tulpen: Das sind die Lieblingsblumen von Herrn R. Der gelernte Gärtner wohnt derzeit in einer Wohngemeinschaft im Obdach Schöpfwerk und war an der Begrünung von acht Gemeinschaftsbalkonen maßgeblich beteiligt. Eigentlich war es sogar seine Initiative. „Viele Balkone in der Umgebung sind schön geschmückt. Nur unsere waren leer. Das wollte ich ändern.“ Nach einem Austausch mit dem Team des Obdach Schöpfwerk, wurde das Projekt „Balkonbegrünung“ gestartet. Jede Wohngemeinschaft konnte mitmachen.
Mehr als Mitbewohner
Herr R. plante die Begrünung, erstellte das Budget und stand den BewohnerInnen der Wohngemeinschaften bei der Begrünung und der Pflege ihrer Balkonpflanzen mit Rat und Tat zur Seite. Entsprechend wohl fühlten sich Tomaten, Paprika und Blumen „Wir sind sehr zufrieden mit dem Ertrag. Es reicht nicht nur für das Naschen am Balkon. Ich habe sogar schon mehrfach Letscho gekocht, für mich und meine Mitbewohner. Naja, wir wohnen nicht nur zusammen, wir sind eigentlich auch Freunde geworden. Wir stehen vor ähnlichen Herausforderungen und verstehen einander.“, erzählt Herr R.
Verlust und Verletzlichkeit
Seit einem Jahr lebt der Pflanzenfreund in der Wohngemeinschaft Obdach Schöpfwerk für Menschen mit Suchterkrankung. Eine Zeit, in der er zur Ruhe gekommen ist und Kraft getankt hat. 2019 verlor Herr R. seine Wohnung und war sogar einige Zeit lang obdachlos. „Keine Bleibe zu haben ist eine furchtbare Erfahrung. Man kann sich das gar nicht vorstellen, wenn man nicht in der Situation war. Man ist ständig angespannt. Man hat keinen sicheren Ort, an dem man sich zurückziehen oder ausruhen kann. Und dann wird man auch ständig angestarrt. Oder zumindest hat man dieses Gefühl. Man fühlt sich wahnsinnig verletzlich.“
Große und kleine Pläne
Der Verlust einer Wohnung kann plötzlich kommen. Herr R. hatte zwar Probleme, aber immer ein Dach über dem Kopf. Er fühlte sich in seiner Wohnung wohl und sein Mietvertrag sollte verlängert werden. Doch dann kam ein Wasserschaden. Die Wohnung musste renoviert werden und Herr. R musste sie verlassen. Ohne Rücklagen konnte er nicht so schnell etwas Neues finden und ohne Bleibe wurden sein psychischer Zustand schlechter und seine Sucht stärker. „Ich bin dankbar, dass man mir aus dieser Situation herausgeholfen hat. Ich bin nun in Therapie und hoffe, in ein bis zwei Jahren eine eigene Wohnung beziehen zu können. Derzeit suche ich einen Job. Man muss planen und vorsorgen.“
Eine Zeit, um Tulpen zu pflanzen
Zukunftsperspektiven sind ein zentrales Thema bei der Betreuung der Bewohner des Obdach Schöpfwerk. Die großen Themen sind klar: Wie kann ich mit einer Sucht umgehen und einen Rückfall vermeiden? Was kann ich tun, um mir eine Wohnung leisten zu können? Aber die großen Herausforderungen können nur angegangen werden, wenn man auch kleinere Dinge meistern kann. Das Begrünungsprojekt von Herrn R. ist daher mehr als nur ein netter Zeitvertreib. Es ist ein Beweis für seine Selbstständigkeit und für seinen Glauben an eine blühende Zukunft. Und das Projekt ist nicht abgeschlossen. Demnächst wird Herr R. sich ans Tulpensetzen machen. Damit sie im Frühling schön aufblühen und ihn und seine Mitbewohner erfreuen können.
Obdach Schöpfwerk
Wohnungslose Erwachsene mit Suchtproblematik können sich in kleinen Wohngemeinschaften im Obdach Schöpfwerk auf ein geregeltes Leben vorbereiten. Das Team unterstützt sie beim Umgang mit der Sucht und der Vorbereitung auf ein geregeltes Leben in einer eigenen Wohnung.