Mit einer Hand öffnet der dreißigjährige Tobias Aumann die Türe und bittet herein, in der anderen hält er eine Gitarre. Wohl eine typische Situation für den Musiktherapeuten, der den BewohnerInnen des Obdach Wurlitzergasse im Rahmen seines Praktikums einen einzigartigen Zugang zu Musik und Therapie ermöglicht, wie er im Interview erklärt.
Was bedeutet Ihnen Musik?
Ich komme aus einer musikalischen Familie und Musik spielt mein ganzes Leben schon eine große Rolle. Mit zehn Jahren habe ich die Gitarre für mich entdeckt. Mittlerweile studiere ich Musiktherapie. Musik war und ist eine sehr treue Wegbegleiterin und ist im Laufe der Zeit immer mehr zu einem Ventil und Ausdrucksmittel für Emotionen geworden. Sie ist so vielfältig wie das Leben, mal freudig, mal traurig., immer aber voller Gefühl. Musik ist Ausdruck von Menschlichkeit und ein Teil des Menschseins. Es gab sie schließlich auch zu jeder Zeit und an jedem Ort, wo Menschen zusammengekommen sind in der Geschichte. Beim Musizieren oder Musikhören kann man einfach man selbst sein.
Warum bieten Sie Musiktherapie gerade im Obdach Wurlitzergasse an?
Menschen, die im Chancenhaus leben, sind in einer schwierigen, umbruchsreichen Situation, die ihnen viel abverlangt, emotional wie organisatorisch. Hier kann Musiktherapie stabilisierend und bereichernd sein. Ziel der Musiktherapie ist es, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bewohnerinnen und Bewohner zu fördern. Denn Musik spielt auch in ihrem Leben eine große Rolle.
Welche Themen werden bearbeitet?
Immer jene, die die Bewohnerinnen und Bewohner bearbeiten wollen. Die Obdachlosigkeit steht nicht im Vordergrund, sondern der Mensch. Mir ist aufgefallen: Oft geht es um Einsamkeit, Emotionsregulation und Entspannung. Das trifft sicherlich nicht nur auf obdachlose Menschen zu, besonders in den letzten 1,5 Jahren. Natürlich kann man auch einfach zusammen Spaß haben in einer Musiktherapiestunde.
Was sind Ihre Lieblingsmoment in einer Session?
Der Moment, wenn wir zusammen musizieren und auf einer Wellenlänge sind und die Musik einfach fließt. Da passiert etwas ganz Besonderes und Heilsames. Das kann zwei Sekunden oder zwei Minuten dauern. Zum Beispiel als ein Bewohner, der relativ verschlossen ist, der Musik lauschte. Nach der Session hat er begonnen zu lachen und gesagt: „Das war jetzt gut. Ich habe nicht ein einziges Mal an meine ganzen Probleme gedacht.“ So soll es sein! Andere wollten gar nicht aufhören, zu trommeln und gehen ganz darin auf. Das sind dann Moment voller Lebensfreude und schierer Begeisterung.
Welche Botschaft möchten Sie gerne verbreiten?
In der Musiktherapie sehen und respektieren wir den Menschen, der hinter den sozialen Mänteln und Etiketten steckt. Das kann ich allen empfehlen.
Über das Obdach Wurlitzergasse
Das Obdach Wurlitzergasse ist ein sogenanntes Chancenhaus. Der Einzug steht allen wohnungslosen Erwachsenen und Paaren offen. In der Regel können sie bis zu drei Monaten bleiben und mit intensiver sozialarbeiterischer Betreuung Perspektiven für ihre Zukunft entwickeln.