Als Mitte März die Bundesregierung Ausgangsbeschränkungen verhängte, stellte sich auch die Frage, wohin Menschen ohne Zuhause gehen können. Obdach Wien hielt alle Einrichtungen offen. Auch die Wärmestube Obdach Apollogasse. Mehr dazu weiß Manon Anzböck.
Wie habt ihr hier die Corona-Pandemie erlebt und was hat sich geändert?
Viele der obdachlosen Menschen waren verunsichert, haben die Informationen nur bruchstückhaft bekommen. Sie sehen nicht regelmäßig fern oder lesen Zeitung. Wir haben viel Aufklärungsarbeit geleistet und damit Sorgen genommen. Als der „Lockdown“ näherkam, haben wir durchschnittlich 150 Menschen täglich mit Essen versorgt. Für obdachlose Menschen stand die Essensversorgung an oberster Stelle. Sie haben schnell gefrühstückt, sich Brotscheiben eingesteckt und sind weitergezogen, um woanders noch etwas abzubekommen. Es war zu dem Zeitpunkt nicht klar, welche Einrichtung wie lange welches Angebot aufrechthalten wird.
Aufgrund der Pandemie haben wir vieles angepasst. Wir desinfizieren häufig alle Oberflächen, tragen einen Mund-Nasen-Schutz, achten auf den Mindestabstand und tun alles, um die Gesundheit der MitarbeiterInnen und der obdachlosen Menschen bestmöglich zu schützen. Normalerweise haben wir in der kalten Jahreszeit von Oktober bis Mai im Rahmen des Winterpakets des Fonds Soziales Wien offen, dieses Jahr halten wir bis Anfang August offen. Die Stadt Wien hat die Einrichtungen des Winterpakets aufgrund der Pandemie verlängert. Es war ja nicht absehbar, wie sich die Situation entwickeln wird und es gab die Ausgangsbeschränkungen. Die Verlängerung brachte große Erleichterung.
Aus Sicherheitsgründen und um die notwendigen Abstände einhalten zu können dürfen jetzt außerdem weniger Menschen gleichzeitig hier sein. Täglich sind ca. 70 obdachlose Menschen bei uns; im Moment haben nur Männer aus dem benachbarten Nachtquartier Zugang. Zusätzlich haben wir 10 Frauenplätze. Diese waren mir extrem wichtig. Ein Herr zum Beispiel schläft im Nachtquartier gegenüber, seine Partnerin ist anderswo untergebracht. Durch die Frauenplätze kann sie zu uns. So trifft sich das Paar täglich. Auch alte Freundschaften werden hier gepflegt, zum Beispiel zwischen Frau Brigitte und Herrn Hendrikus. Anders wäre das nicht möglich. Während des „Lockdowns“ wurde uns doch allen besonders bewusst, wie wichtig uns Kontakt zu unseren Liebsten ist. Im Obdach Apollogasse sind solche Sozialkontakte auch für obdachlose Menschen möglich.
Wie sieht euer Alltag aus?
Nach dem Aufsperren frühstücken die obdachlosen Menschen in Ruhe, die Verunsicherung der ersten Tage und Wochen hat sich gelegt. Viele haben schon ihren Stammplatz. Unter der Woche bekommen wir das Mittagessen geliefert. Am Wochenende kochen wir selbst. Wir hatten zu jedem Zeitpunkt genug zu essen für alle. Dafür bin ich dankbar! Die NutzerInnen, wie wir die obdachlosen Menschen nennen, verweilen dann, trinken Kaffee und tratschen. Zwei Herren spielen oft den ganzen Tag Schach. Es ist ein Kommen und Gehen. Manche waschen ihre Wäsche, andere genießen es, vor der Wärmestube in der Sonne sitzen zu können. Andere bitten uns um Unterstützung, was AMS-Termine oder Ähnliches betrifft. Gestern haben einige zusammen musiziert. Wir sind so etwas wie ein Aufenthaltsraum und bringen Abwechslung.
Am Nachmittag helfen uns alle fleißig beim Aufräumen, bringen Geschirr zurück und fegen regelrecht mit dem Besen durch die Wärmestube, bevor wir schließen. Es herrscht ein großer Zusammenhalt zwischen MitarbeiterInnen und obdachlosen Menschen. Das ist wunderbar zu beobachten.
Was sind Highlights in der Apollogasse?
Das Essen! Es schmeckt den NutzerInnen hervorragend. Am beliebtesten sind, neben den wechselnden Hauptspeisen, frisches Obst, Gemüse und Kuchen. Ich will keine Normalität vortäuschen in dieser Ausnahmesituation, aber schöne Ankerpunkte setzen, wie Frühstück, Mittagessen, eine Partie Schach, ein Kaffeetratsch – ja, das gelingt uns gut. Mein Tageshöhepunkt ist das Frühstück. Da komme ich gleich ins Gespräch mit den NutzerInnen, wir plaudern über Kuchen zum Frühstück, Lieblingsgerichte und haben Themen, die nicht belasten oder Sorgen bereiten.
Was wünscht du dir für die kommenden Monate?
Wir sind jetzt ein in sich geschlossenes Universum, das in Balance ist und gut funktioniert. Aber ich wünsche mir, dass die Lockerungen weiter so gut greifen, dass wir noch mehr Menschen unterstützen und täglich hereinlassen können. Den NutzerInnen wünsche ich, dass sie bald Arbeit und Perspektiven finden. Ganz persönlich freue ich mich auf meinen ersten Espresso im Kaffeehaus. Bis jetzt war ich noch nicht. Auch wenn unser Kaffee im Obdach Apollogasse wirklich gut ist, freue ich mich darauf, mal nicht mein eigenes Häferl wegräumen zu müssen.
Manon Anzböck ist seit 2014 Betreuerin bei Obdach Wien und leitet seit 2019 die Wärmestube Obdach Apollogasse.
In der Wärmestube Obdach Apollogasse können sich obdachlose Frauen und Männer tagsüber aufhalten, duschen, Wäsche waschen und ausruhen. Für Frühstück und Mittagessen sowie für Beratung durch das Team ist gesorgt. Die Wärmestube Obdach Apollogasse, die jährlich im Rahmen des Winterpakets des Fonds Soziales Wien öffnete, wurde aufgrund der Pandemie heuer bis 4. August verlängert. Währenddessen ist der Zugang nur für Männer aus dem Nachtquartier Apollogasse sowie für 10 Frauen von außerhalb möglich.
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