2015 war Othman Bewohner in einer Flüchtlingseinrichtung von Obdach Wien, jetzt feiert er ein Jahr als Mitarbeiter. Ein guter Anlass, zurück und nach vorne zu schauen.
Woher und wieso bist du geflohen?
Ich bin aus dem Irak, genau gesagt aus Tikrit. Dort herrschen seit Jahrzehnten kriegsähnliche Zustände. Als meine Geburtsstadt 2014 besetzt wurde, konnten meine Familie und ich die Stadt nicht verlassen. Ich dokumentierte die Situation vor Ort durch Artikel und Fotos. Das führte dazu, dass ich verfolgt wurde und fliehen musste. Heute schreibe ich nicht mehr, meine Familie habe ich seit 2015 nicht gesehen.
Wie bist du hergekommen?
Zu Fuß, mit dem Auto und dem Boot. Die Flucht aus dem Irak führte mich über Syrien, die Türkei, Griechenland, Serbien etc. bis nach Österreich. Ich wurde von einem Staat zum anderen weitergeschickt. Mein Ziel war es, Sicherheit zu finden und einen legalen Status zu bekommen. Insgesamt hat die Flucht über ein halbes Jahr gedauert. Zwei Tage lang hatte ich nichts zu trinken. Vieles, was für mich früher selbstverständlich war, war plötzlich in weiter Ferne. Das war nicht leicht. Ich schätze jetzt alles, was ich habe. In Wien angekommen, kam ich in einer Flüchtlingsunterkunft von Obdach Wien unter. Dort habe ich endlich Schutz gefunden. Die Unterkunft und Wien wurden mein Ersatzzuhause, wo ich Zeit und Raum fand, um mich zu erholen. 2019 habe ich endlich einen Aufenthaltstitel bekommen.
Wie ging es weiter?
Mit Willenskraft, Geduld und dem Bewusstsein, dass Sprache das beste Mittel ist, sich in der Gesellschaft zu integrieren, habe ich so rasch wie möglich Deutsch gelernt. Hilfreich war sicher, dass ich ein neugieriger Perfektionist bin. Ich war auch freiwillig als Dolmetscher tätig.
Nach dem Erhalt der Arbeitserlaubnis hatte ich viele Hilfsjobs, z.B. als Reinigungskraft, in einer Krankenhausküche und in einer Bäckerei. Ich wusste, ich kann und will mehr. Für ein Jahr war ich administrativer Assistent in einer Flüchtlingseinrichtung und seit Oktober auch für drei Einrichtungen der Wintermaßnahmen bei Obdach Wien. Den Arbeitsvertrag zu unterschreiben, war ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Obdach Wien spielte somit zweimal in meinem Leben eine entscheidende Rolle. Ich liebe meine Arbeit und bin sehr dankbar! Seit März arbeite ich als Wohnungskoordinator.
Was macht ein Wohnungskoordinator?
Ich begleite obdach- und wohnungslose Menschen bei ihrem Neubeginn und helfe ihnen, wieder selbst und eigenständig zu wohnen. Meine Aufgabe ist es unter anderem, mich um Nutzungsverträge, Anmietung und Verwaltung der Wohnungen zu kümmern. Ich bin aber auch Ansprechpartner bei Nachbarschaftsthemen und Anfragen rund um das Wohnen. Dabei arbeite ich eng mit Sozialarbeiter:innen zusammen.
Worauf freust du dich am meisten?
Auf die neue Herausforderung, die vielfältigen Aufgaben, das Dazuzulernen und auf die gute Zusammenarbeit im Team, alles mit dem Ziel, obdach- und wohnungslose Menschen bestmöglich zu begleiten.
Wie sieht dein Alltag aus?
Ich arbeite und in meiner Freizeit gehe ich am liebsten laufen, ins Fitnessstudio oder fahre Rad. Ansonsten lese ich viel. Und am Ende eines Tages trinke ich gerne eine heiße Schokolade in meiner Wohnung, in der ich mich zuhause und geborgen fühle.
Was sind deine Zukunftspläne?
Bis vor zwei Jahren hatte ich den Wunsch, Publizistik – wie im Irak – zu studieren. Aber jetzt weiß ich, dass ich im sozialen Bereich richtig gelandet bin. Es war auch früher mein Ziel, Menschen zu helfen, durch mein Schreiben über die Wahrheit. Jetzt weiß ich, ich kann auch anders helfen. Und ich wünsche mir, dass ich eines Tages eine Ausbildung bzw. ein Studium zum Sozialarbeiter machen kann. Ich wünsche mir einfach, weiter im Sozialbereich zu arbeiten. Vielleicht werde ich auch eines Tages wieder schreiben und meine Fluchterlebnisse in einem Buch festhalten.
Was gibt dir Kraft und Motivation?
Meine Geschichte! Die Erfahrung, plötzlich Flüchtling zu sein, aber trotz schwieriger Umstände Hindernisse zu bewältigen und Ziele zu erreichen, zeigt mir, dass alles möglich ist.