Seit drei Jahrzehnten hat das Obdach Gänsbachergasse ein Ziel: Wohnungslose Menschen auf ihrem Weg in ihre eigenen vier Wände zu begleiten. Das Konzept des Hauses entwickelte sich stetig weiter. Beim Festakt wurde gemeinsam Rückschau gehalten und Ausblicke in die Zukunft gegeben. Bei einem Podiumsgespräch und Führungen durch BewohnerInnen gab es spannende Einblicke in ein ganz besonderes Haus.
Rückblick
Sozialstadtrat Peter Hacker, Anita Bauer, Geschäftsführerin des Fonds Soziales Wien und Monika Wintersberger-Montorio, Geschäftsführerin von Obdach Wien, betonten beim 30-jährigen Jubiläum, wie stolz sie auf das Obdach Gänsbachergasse sind. Vor 30 Jahren etablierte das damalige Team die noch heute in der Wohnungslosenhilfe gültigen Grundsätze: Respekt, Begegnung auf Augenhöhe und menschenwürdige Unterbringung. Was damals ein Meilenstein war, ist heute Standard in der Wiener Wohnungslosenhilfe.
Monika Wintersberger-Montorio erinnert sich, wie erschüttert sie als junge Sozialarbeiterin über die Zustände der Einrichtungen in den späten 80er-Jahren war. Sie stellte sich, zusammen mit anderen SozialarbeiterInnen, die Frage: „Was können wir tun?“ Ein neues Konzept wurde entwickelt und das Obdach Gänsbachergasse geschaffen. Statt kleinen Kabinen, die oben vergittert waren und nach unten hin offene Wände hatten, damit man den Boden einfacher sauber spritzen konnte, mit zentral gesteuertem Lichtschalter für alle und ohne Tagesaufenthaltsmöglichkeiten, sollte es in der Gänsbachergasse vor allem eines geben: Selbstbestimmung. Die BewohnerInnen bekamen ihre eigenen Zimmer, durften tagsüber bleiben, hinter sich die Türe zu sperren und vieles mehr. Denn erstmals waren täglich SozialarbeiterInnen vor Ort. Monika Wintersberger-Montorio war eine „Überzeugungstäterin“, wie Peter Hacker sie nannte, da sie, gemeinsam mit anderen, diesen Wandel ermöglichte.
Susanne Wessely, stellvertretende Bezirksvorsteherin, erinnerte sich an ihren ersten Besuch im Obdach Gänsbachergasse vor 30 Jahren und ihre Erkenntnis, dass wohnungslose Menschen ein Gesamtpaket aus Unterkunft, Betreuung und Beratung brauchen, so wie es hier geboten wird.
Momentaufnahme
Ergin Hatipler, Teamleiter im Obdach Gänsbachergasse, gab Einblicke in den Alltag. 286 Menschen und ein rundes Dutzend Vierbeiner wohnen derzeit im Haus. Denn oft sind die Haustiere treue Wegbegleiter, einziger verbliebener Sozialkontakt und daher wichtiger Begleiter am Weg in die eigene Wohnung.
Anna P., Bewohnerin im Haus, erzählt: „Als ich wohnungslos wurde, dachte ich mir, dass ich das nicht überlebe. Dann kam ich ins Obdach Gänsbachergasse und nach ein paar Tagen wurde mir klar, es geht doch. Nach einigen Wochen und den ersten Kontakten zu anderen BewohnerInnen und den BetreuerInnen dachte ich mir, dass es schön ist hier und ich das sogar sehr gut überleben kann. Es ist eine Übergangszeit hier für mich, eine wirklich schöne Übergangszeit.“
Nicht zuletzt, so Anna P., wegen der vielen abwechslungsreichen Aktivitäten. Im Obdach Gänsbachergasse wird gemeinsam gegartelt, gesportelt, gewuzzelt, gemalt, gebastelt und vieles mehr. Dies ist sehr wichtig, denn viele BewohnerInnen möchten einen Beitrag zum Zusammenleben leisten, sich vernetzen oder einfach ihre Freizeit abwechslungsreich gestalten – ein Ansinnen, das sicher JedeR kennt. Die BewohnerInnen bringen hierfür auch Ideen ein und organisieren mit. Ausflüge heißen in Anlehnung an den Standort Gänsbachergasse „Gänse-Marsch“.
Zukunftsvisionen
Gustl Korbl, Betreuer seit dem ersten Tag, hält fest, dass JedeR einmal wohnungs- oder obdachlos werden kann. Oft ist es eine Scheidung, Krankheit oder Arbeitslosigkeit, die dazu führen. Das Konzept des Hauses hat er mit Freude von Beginn an mitgetragen und unzählige schöne Momente erlebt. Jungen KollegInnen rät er, allen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, um die Kernphilosophie des Obdach Gänsbachergasse auch in die Zukunft zu tragen.
Das Fazit, das Gustl Korbl mit Kurt Gutlederer, dem Leiter der Wiener Wohnungslosenhilfe im Fonds Soziales Wien, teilt, lautet: „Man lernt nie aus.“ So seien die Erfahrungen, die im Obdach Gänsbachergasse gemacht wurden, grundlegend für die weitere Entwicklung der Wohnungslosenhilfe gewesen, so Kurt Gutlederer.
Doris Czamay, Geschäftsführerin von Obdach Wien, blickte ebenfalls nach vorn und wünscht sich für die nächsten 30 Jahre Obdach Gänsbachergasse, dass das Angebot zeitgemäß und bedarfsgerecht bleibt. Entscheidend dabei sei: Obdach Wien soll weiterhin Überzeugungstäterin sein.
Über das Obdach Gänsbachergasse
Wohnungslose Frauen, Männer und Paare können sich hier auf das Leben in einer eigenen Wohnung vorbereiten. 276 Plätze stehen in diesem Haus zur Verfügung, davon 146 für Männer, 108 für Frauen und 11 Paare. Im Winter werden zusätzlich 9 Paare aufgenommen. Im Jahr 2019 wurden 708 Personen betreut. Knapp über 140 Tage, also nicht ganz 5 Monate verbleiben die wohnungslosen Menschen im Obdach Gänsbachergasse, danach ziehen viele in die eigenen vier Wände.